Cain Display-Schrift: Eine Fallstudie

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Februar 19, 2024
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„Cain“ ist meine zweite Display-Schrift, die in Großbuchstaben und zwei Schriftschnitten, Ada & Thornton – ohne und mit Spikes – erhältlich ist. Sie ist inspiriert von der Jugendstil- und Wildwest-Ästhetik, und schafft eine Balance zwischen Intensität und Eleganz.

In diesem Blogbeitrag gebe ich euch einen Einblick, wie „Cain“ entstanden ist.

1. Konzeption

Im Buch „Designing Type” stellt die Typografin Karen Cheng ein Schriftbriefing mit fünf Fragen vor, die man sich zu Beginn eines neuen Projektes stellen kann:

  1. Welche Funktion soll die Schrift erfüllen?
  2. Welche Medien sind als Einsatzgebiet vorgesehen?
  3. Welche Sprachen sollen unterstützt werden?
  4. Welche Persönlichkeit soll das Schriftbild vermitteln?
  5. Welche Gestaltungsmerkmale werden benötigt?

Dieses Font-Briefing hilft dabei, Entscheidungsgrundlagen festzulegen. Es schafft mehr Klarheit bezüglich des Zwecks, der Funktion und der Merkmale der neuen Schrift.

Funktion

Ich wollte eine expressive Schrift entwerfen, die sich gut für große Anwendungen eignet – eine Display-Schrift in Großbuchstaben.

Ich schätze es, wenn eine Schrift viele Layout-Optionen bietet. Deshalb habe ich die Schrift um alternative Glyphen und Ligaturen erweitert, um individuellere Designs gestalten zu können.

Einsatzgebiet

Für große Anwendungen. Poster, Logo- und Packaging-Design, Branding- und Editorial-Projekte im Bereich Mode und Musik.

Sprachen

Um „Cain“ vielseitig einsetzbar zu machen, war mir eine möglichst große Sprachunterstützung wichtig. Von Französisch, Slowenisch, Ungarisch bis hin zu Zulu werden insgesamt 38 Sprachen unterstützt.

Persönlichkeit

Das Schriftbild soll eine elegante, aber dennoch kraftvolle Persönlichkeit vermitteln. Ich dachte dabei an eine Verschmelzung von Jugendstil und Wildem Westen – eine Mischung aus Mystik, Eleganz und Dynamik. Art Nouveau trifft auf ungezügelte Freiheit. Diese beiden Welten wollte ich kombinieren.

Daraus entstand die Idee einer kurzen Geschichte – die Liaison einer Wiener Tänzerin mit einem amerikanischen Outlaw – zwei gegensätzliche Persönlichkeiten, die sich optimal ergänzen.

Gestaltungsmerkmale

Als Inspirationsquellen dienten mir klassische Schriften wie die Baskerville, DIN Condensed und die Rockwell. Dazu kamen noch Entwürfe aus einem alten Schriftenmusterbuch.

Art Nouveau trifft auf den Wilden Westen – Schrifteninspirationen
Art Nouveau trifft auf den Wilden Westen – Schrifteninspirationen
Strong's Book of Design - C.J. Strong - 1917
Strong's Book of Design - C.J. Strong - 1917

Ich entschied mich dafür, die Buchstaben eher schmal (condensed) zu gestalten, mit Ausnahme von O und Q, diese sollten voluminös erscheinen. Außerdem wollte ich einen zu starken Kontrast zwischen dick und dünn vermeiden, um einen „klassischen“ Stil beizubehalten.

2. Erste Skizzen

Hier ist einige frühe Skizze des Schriftbildes. Zwischendurch experimentierte ich mit Buchstabenvarianten und Ideen.

Bei der Gestaltung einer Schrift muss nicht unbedingt das gesamte Alphabet gezeichnet werden, da sich viele Buchstaben aus dem Verhältnis zueinander ergeben. Alle Zeichen sind voneinander abhängig. Eine Schrift ist ein System von Verhältnissen. Aber in diesem Fall hatte ich Freude daran, alle Buchstaben als Alphabet zu skizzieren. Auf dem folgenden finalen Entwurf basiert die Schrift:

3. Umsetzung & Vektorisierung

In der nächsten Phase werden die Buchstaben vektorisiert. Die große Herausforderung dabei ist, ein visuell einheitliches Bild zu schaffen.

Es folgen viele Papierausdrucke, Zwischenvarianten, Vergleiche und Korrekturschleifen.

Den Buchstaben werden noch Zahlen, Interpunktion und Symbole hinzugefügt. Je mehr Glyphen geplant sind, desto größer ist der Aufwand.

An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei Viktor Baltus (typedesignclass.com) bedanken, der mir mit viel konstruktivem Feedback zur Seite gestanden ist.

Alphabet Ada & Thornton beide Schriftschnitte
Ada & Thornton beide Schriftschnitte

4. Spacing – Kerning – Font Proofing

Sobald alle Buchstaben und Varianten festgelegt sind, beginnt die Feinarbeit: Spacing und Kerning.

Spacing legt die Abstände links und rechts neben den einzelnen Glyphen fest.

Kerning ist manuelles Eingreifen um bei „problematischen“ Buchstabenkombinationen (zB.: AVA, AXA, AWA…) ein visuell gutes Gesamtbild ohne „Lücken im Weißraum“ zu erzielen.

Stunden um Stunden Arbeit …

Viele Ausdrucke auf Papier sind erforderlich, um die Buchstabenkombinationen optisch besser bewerten zu können…

Mit „Cain“ ist schließlich eine Schrift entstanden, die für eine Vielzahl von Aufgaben einsatzbereit ist.

5. Funktionen

In den folgenden Anwendungsbeispielen zeige ich euch einige der integrierten Funktionen der Schrift.

OpenType Features Magie in Indesign. ✨ Im Video seht ihr „Cain“ live in Action. Spielt mit den Ligaturen, tauscht Glyphen aus und verleiht eurem Design die individuelle „Würze“. Egal, ob elegant, oder wild, „Cain“ ist vielfältig einsetzbar.

Discretionary Ligatures – „Ermessensabhängige Ligaturen“

Die Ligaturen können bei Bedarf aktiviert werden – was sehr nützlich ist, wenn besondere Aufmerksamkeit erzielt werden soll…

Cain-Typeface_Discretionary-Ligatures

Alternative Buchstaben

Hier können nach Belieben einzelne Buchstaben ausgetauscht werden.

Runde Interpunktion…

Sowohl eckige, als auch runde Punkte haben ihren Reiz. Daher habe ich beide Varianten in der Schrift vorgesehen.

Durch Klicken auf das kleine blaue OpenType-Symbol in InDesign können die alternativen Glyphensätze für ganze Textabschnitte aktiviert werden. Dasselbe ist natürlich auch über die Formatoptionen möglich.

Raised Colons (Angehobene Doppelpunkte)

Gerade bei Großbuchstaben sieht es meistens besser aus, wenn die Doppelpunkte optisch nach oben „angehoben“ sind. Daher habe ich diese Variante in den OpenType-Funktionen inkludiert, sowohl für die eckigen (SS03) als auch für die runden (SS05) Doppelpunkte.

Das kann im Absatz- oder Zeichenformat aktiviert werden, sodass alle Doppelpunkte automatisch erhöht werden.

Die Entwicklung einer Schrift ist ein langwieriger Prozess, der viel Zeit in Anspruch nimmt.

Ich bin schon sehr gespannt, wie „Cain“ live zum Einsatz kommen wird. Wenn ihr die Schrift selber verwendet, oder sie euch irgendwo begegnet, lasst es mich wissen. Gerne würde ich eure Erfahrungen in den sozialen Medien teilen.

Hier geht’s zur Präsentationsseite der Schrift.

Michael
Leonhartsberger

Branding, Lettering, Typefaces, Workshops


ml@michael-leonhartsberger.com

Gruberstraße 16
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Austria

zwischen Linz und Freistadt

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